Donnerstag, 17. April 2014

Deutsch-Russische Verflechtungen und Sanktionen

Mit dem Fortdauern der Ukraine-Krise rücken Wirtschaftssanktionen gegen Russland in den Bereich des Möglichen. Dabei wird vor allem in Deutschland immer wieder gewarnt, dass die deutsche Wirtschaft darunter sehr leiden würde, da Deutschland und Russland ökonomisch eng miteinander verflochten sind.

Wie eng sind diese Verbindungen aber wirklich und welche Sanktions-Szenarien gibt es? Das Maß der ökonomischen Verflechtung lässt sich mit zwei Kennzahlen relativ gut zeigen: Handelsumsätze und Direktinvestitionen im Ausland.

Deutschland hat 2013 aus Russland Waren und Dienstleistungen im Wert von 40,4 Mrd. Euro importiert. Damen kamen rund 4,5% der deutschen Importe aus Russland. Gleichzeitig beliefen sich die Exporte nach Russland auf 36,1 Mrd. Euro, was 3,3% der gesamten deutschen Exporte ausmacht. Diese Zahlen machen deutlich, dass Russland in der deutschen Handelsbilanz keine überragende Rolle einnimmt. Allerdings hat das Land eine besondere Bedeutung für die deutsche Energieversorgung. Rund ein Drittel des Erdgases und Erdöls sowie ein Viertel der Steinkohle kamen im vergangenen Jahr aus Russland.

Neben den Handelsumsätzen ist auch ein Blick auf die Direktinvestitionen interessant. Im Jahr 2013 lag der Bestand von Direktinvestitionen (langfristige Investitionen, die im Gegensatz zu Portfolioinvestitionen nicht ohne weiteres wieder abgezogen werden können, bspw. das VW-Werk in Kaluga im Süden Moskaus) bei 21,5 Mrd. Dollar. Damit waren etwa 4,3% des gesamten Bestands an Direktinvestitionen in Russland deutscher Herkunft. Allerdings ist die tatsächliche Bedeutung für Russland größer: Der überwiegende Teil der Direktinvestitionen, die nach Russland fließen, besteht aus sogenannten "round-tripping investments", d.h. ursprünglich russischem Kapital, das über Offshore-Finanzplätze wieder in Russland investiert wird. Derartige Investitionen bringen in der Regel kein Knowhow ins Land, ganz im Gegensatz zu den Investitionen aus Deutschland. Der Gesamtbestand deutscher Investitionen im Ausland lag 2012 bei 716 Mrd. Dollar (Quelle UNCTAD). Damit gingen 2012 ca. 2,4% der deutschen Direktinvestitionen nach Russland.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Deutschland zwar für Russland eine wichtige Rolle spielt, dies umgekehrt aber nur bedingt der Fall ist. Entscheidend könnte aber die Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland sein.

Mit dieser Frage hat sich Roland Götz in den aktuellen Russland-Analysen ausführlich beschäftigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein Gaskrieg eher unwahrscheinlich ist. Von europäischer Seite ist ein Gasembargo nicht sinnvoll, da die Auswirkungen in Europa recht schnell spürbar würden, während die Einnahmeausfälle für Russland sich auf nur 3 Mrd. Dollar im Monat beliefen. Von russischer Seite wiederum wären die Reputations-Verluste für Gasprom langfristig zu groß, als dass ein russischer Ausfuhrstopp drohe. Besonders pikant: Die Krim wird über die Ukraine mit Gas versorgt, sodass sie dann ebenfalls abgeschnitten wäre. Falls es wirklich zu einem schwerwiegenden Handelsembargo käme, erwartet Götz dieses eher im Ölsektor - hier gibt es (im Gegensatz zum Gas) strategische Reserven, die einen Ausfall Russlands als Lieferant für mindestens 9 Monate kompensieren könnten. Gleichzeitig entgingen Russland monatliche Einnahmen in Höhe von 18 Mrd. Euro.


Der Wandel in Putins Wirtschaftspolitik

In Vorbereitung auf meinen gestrigen Besuch beim NDR habe ich einige Zahlen und Einschätzungen zur russischen Wirtschaftslage und zu möglichen Sanktionen gesammelt. Natürlich standen gestern vor allem die aktuellsten Entwicklungen und globalpolitische Schuldfragen im Vordergrund. Ein genauerer Blick auf die ökonomische Ausgangssituation lohnt sich aber.

Zur Ausgangslage: Auch ohne die Krimkrise wäre eine Rezession in Russland in diesem Jahr durchaus möglich gewesen. Vor dem Hintergrund der sich erholenden Weltkonjunktur und den akzeptablen bis guten Wachstumsraten der anderen BRIC-Staaten (Brasilien +2,5% Indien +4,7% China +7,6%) werden dadurch einige hausgemachte Probleme sichtbar.

Es gibt drei Hauptfaktoren, die das russische Wachstum bestimmen. Zum einen ist die Arbeitsproduktivität in Russland deutlich unter der führender Industrieländer. Hier gibt es immer noch ein großes Potential für aufholendes Wachstum. Wenn Kapital und Knowhow einigermaßen ungehindert fließen können, kann Russland alleine durch Konvergenz wachsen (Faktor 1). Ein weiterer Treiber des russischen Wachstums ist der Ressourcenreichtum. Zwar können die Rohstoffexporte auch die Entwicklung in anderen Branchen behindern, allerdings zeigen Länder wie Norwegen, dass sich der Ressourcensegen sehr gut in nachhaltiges Wachstum umsetzen lässt (Faktor 2).

Steigende Ölpreise und Konvergenz haben die russische Wirtschaft in den 2000er Jahren zu hohen Wachstumsraten verholfen. Unterstützt wurden sie dabei von einem dritten Faktor: Die Rolle des Staats in der Wirtschaft. In seiner ersten Amtszeit setzte Putin einige Reformen um (vor allem die Vereinfachung des Steuerrechts), die unter Investoren für mehr Vertrauen sorgten und das russische Investitionsklima deutlich verbesserten. Dabei waren die konkreten Eingriffe Putins hilfreich, noch wichtiger war aber, dass er auf eine selbstständige Marktwirtschaft zu setzen schien. Dadurch verbanden viele Investoren mit ihm die Hoffnung auf weitere Reformen in der Zukunft (Faktor 3).

Putin hat auch in der Folge die wirtschaftliche Entwicklung immer wieder zur Chefsache erklärt und seine Politik durch die hohen Wachstumsraten legitimiert. Allerdings gab es spätestens mit der Yukos-Affäre einen Politikwechsel weg von der Verbesserung allgemeingültiger Regeln und hin zu einer größeren Bedeutung staatlicher und staatsnaher Konzerne. In der Finanzkrise wurde der Einfluss des Staates weiter ausgedehnt. In der Folge wurden zwar Reformen auf der Makroebene (bspw. in der Zentralbank) weitergeführt, allerdings ging es bei den schwierigeren Themen (Wettbewerbsrecht, Rentenreform, Korruption), für die auch politische Widerstände überwunden werden müssen, nicht voran.

Stattdessen setzt die russische Regierung seit einigen Jahren auf eine ganze Reihe gigantischer staatlicher Projekte als Variante der Wirtschaftsentwicklung. Die Gaspipeline Nord Stream, der APEC-Gipfel in Wladiwostok, die olympischen Winterspiele in Sochi, die nächste Pipeline South Stream, die Fußball-WM 2018 - in jedes einzelne dieser Projekte wurden und werden zweistellige (Euro) Milliardenbeträge investiert. Als weiteres Projekt ließe sich nun der wirtschaftliche Aufbau der Krim einreihen. Alle diese Projekte erzeugen den Schein des Fortschritts, geführt durch einen starken Staat. Auf den wirtschaftlichen Wohlstand der Russen haben sie aber kaum Einfluss - ihre Wirkung bleibt medial.

Die Ukraine-Politik des Kremls ist ein weiteres, deutliches Zeichen dafür, dass Putin sich von seiner ursprünglichen ökonomischen Ausrichtung inzwischen entfernt hat. Vielleicht glaubt er nicht mehr an eine Entwicklungsperspektive für Russland, die von einer starken Privatwirtschaft getragen wird. Vielleicht sieht er sich nicht in der Lage, die dafür notwendigen Reformen im Inland durchzuführen. Mein Eindruck ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung aktuell in Putins Agenda weit nach unten gerutscht ist. Wirtschaftliche Reformen würden erst in einigen Jahren Früchte tragen. Die Ukraine-Krise steigert Putins Popularität im Hier und Jetzt.

Diese starke "Gegenwartspräferenz" Putins, die Verkürzung des zeitlichen Horizonts, birgt große Risiken für das Land. Auch wenn sich in Moskau kaum deutlicher Widerstand regt, warnen doch die liberaler gesinnten Finanzminister und Ex-Finanzminister vor dem "Preis", den das Einverleiben der Krim für Russland haben wird. Investoren scheren sich aus moralischer Perspektive zwar wenig darum, ob sie ihr Geld in einer Demokratie oder in einer "lupenreinen" Demokratie anlegen, allerdings verschlechtert sich in ihren Augen das Verhältnis von Risiko und Rendite in Russland. Das sorgt für Kapitalabflüsse aus Russland, die im ersten Quartal über 70 Mrd. Dollar betrugen (nach 62,7 Mrd. im Vorjahr) und im Jahresverlauf auf 150 Mrd. anwachsen könnten.

Das hat zur Folge, dass russische Unternehmen ihre Investitionen aufschieben müssen. Außerdem setzt es den Rubel unter Druck, was die Rückzahlung und den "Rollover" (Erneuerung) ausländischer Kredite weiter erschwert. Der russische Privatsektor ist im Ausland mit ca. 650 Mrd. Dollar verschuldet, wovon 150 Mrd. in den kommenden 12 Monaten erneuert werden müssen. Die schrumpfende Investitionsnachfrage wird sich im Wachstum bemerkbar machen. Die Weltbank rechnet auch ohne Sanktionen in ihrem pessimistischeren Szenario mit einer Rezession (-1,8% Wachstum).

Die liberaleren Kräfte in der russischen Regierung haben getan was sie konnten: Die Staatsverschuldung liegt bei niedrigen 7%, die Zentralbank verfügt über 500 Mrd. Dollar Devisenreserven, der Wohlfahrtsfonds und der Reservefonds sind mit jeweils knapp 90 Mrd. Dollar ebenfalls gut gefüllt. Der Haushalt ist ausgeglichen, wobei die Hälfte der Einnahmen des föderalen Budgets aus Öl- und Gasexporten kommen. Trotzdem sieht es für die kommenden Jahre nicht gut aus. Mit einem Präsident, der aktuell seine gesamte Aufmerksamkeit außenpolitischen Abenteuern widmet, wird es so schnell keine strukturellen Reformen geben. Gleichzeitig rechnet für die nächsten Jahre kaum jemand mit steigenden Ölpreisen (wenn es zu keinem Ölembargo gegen Russland kommt). Ohne das Vertrauen bzw. das Kapital der Investoren kann aber auch keine breiter angelegte, aufholende Entwicklung der russischen Wirtschaft stattfinden.