Montag, 1. Dezember 2014

Lamoda: "Alles war geplant".

Am vergangenen Freitag bekam die Moskauer Zentrale von Lamoda Besuch von der russischen Sonderpolizei OMON (beschrieben in meinem vorherigen Eintrag). Inzwischen liegen einige Äußerungen von Lamoda selbst vor, die die Lage nicht wirklich aufklären, aber dennoch interessant sind.

Von der Durchsuchung berichtete ursprünglich der Sender Livenews, den man sich als eine Art BILD mit starkem propagandistischen Einschlag/Auftrag vorstellen muss: Hang zum Drama, aber mit guten Kontakten. Die Nachricht wurde in der Folge auch von Qualitätsmedien aufgegriffen, die sich dann auf die Firma selbst beriefen, und nicht mehr auf "ungenannte Quellen", wie bei Livenews der Fall.

Das Business-Journal RBK beruft sich am Freitagnachmittag auf einen Angestellten von Lamoda, der den Journalisten gegenüber bestätigt hat, dass bei Lamoda Dokumente beschlagnahmt wurden.

Außerdem erklärte die PR-Abteilung von Lamoda am Freitag, sie habe "keine Ahnung, was die Gründe [des Polizei-Besuchs] sein könnten" (laut Vedomosti, ebenfalls eine respektable Zeitung).

Inzwischen hat Lamoda diese Aussagen revidiert. Am Wochenende noch gab es ein offizielles Statement, dass es sich um eine vorher geplante Steuerprüfung gehandelt habe, und dass keineswegs Dokumente oder Computer beschlagnahmt wurden (ebenfalls lt. Vedomosti). Die Firma sei auf die Steuerprüfung vorbereitet gewesen. Ursprünglich hatte Livenews massenhafte Unregelmäßigkeiten beim Zoll als Grund genannt.

Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass diese Aussagen von Lamoda stimmen, wirkt das letzte Statement doch vor dem Hintergrund der Äußerungen vom Freitag wie versuchte Schadensbegrenzung. Klar ist auch: Eine Steuerprüfung braucht nicht den Einsatz der Sonderpolizei OMON, die eigtl. für ganz andere Dinge zuständig ist (siehe "Auftrag" hier). Darüber hinaus gibt es auch eine Steuerpolizei, die den Prüfern zur Seite stehen könnte. Die Maski-Show von OMON zeigt in meinen Augen, dass Einschüchterung definitiv Teil des Auftrags war.

Eine Enteignung (d.h. juristische Verfolgung, die in einem Notverkauf endet) von Lamoda wäre evtl. ein zu großer Skandal, das ist - auch wenn ausländische Unternehmen wie McDonalds in den letzten Monaten Zielscheibe von nationalistischer Politik geworden sind - erst einmal unwahrscheinlich. Die Schikane könnte als Hintergrund haben, dass jemand am Erfolg von Lamoda teilhaben möchte und sich bisher nicht ausreichend gewürdigt fühlt.

Hier beginnt nun wirklich der Bereich der Spekulation. Auf Grundlage meiner Gesprächen mit Unternehmern vor Ort sowie der Literatur ist diese "Teilhabe" von Akteuren aus Behörden und Polizei aber der Normalfall in Russland. Ausländische Unternehmer schienen hiervon bisher weniger betroffen zu sein. Das "Anzapfen" eines Ausländers ist für die Behörden unberechenbarer und risikoreicher. Interessanterweise schützt die Ausländer hier manchmal ihre eigene Illusion, sich in einem Rechtsstaat zu befinden: Sie lassen sich weniger schnell auf informelle Deals ein und versuchen, bis zur letzten Instanz in Gerichten zu ihrem Recht zu kommen.

Die Steuerprüfung ist in Russland berühmt-berüchtigt, und dass es meistens nicht harmlos ausgeht, zeigt auch dieser russische Witz:

Ein Russe, ein Franzose und ein Amerikaner streiten sich darüber, was Glück bedeutet.

Der Amerikaner sagt: "Glück ist für mich, wenn ich am Strand sitze, mir gemütlich einen Whisky eingieße, aufs Meer hinausschaue und meine Jacht bewundere."

Der Franzose sagt: "Nein, das soll Glück sein? Glück ist, in einem guten Restaurant zu sitzen und Clicquot zu trinken, mit einer hübschen Frau rechts von mir und einer links von mir - wohl wissend, dass zu Hause noch eine hübsche Frau wartet."

Der Russe sagt: "Das ist doch auch kein Glück. Glück bedeutet, früh morgens aufzustehen, aus dem Fenster zu schauen, und dort zwei Busse ankommen zu sehen. Aus dem einen Bus springt die Steuerpolizei, aus dem anderen kommen die Männer von OMON in voller Montur gerannt. Sie kommen in deine Wohnung und brüllen dich an: <Ist das hier die Hauptstraße 6?!>. Und du sagst ihnen: <Nein, sorry, ist die 8>. Das ist Glück!"