Freitag, 28. November 2014

"Berliner" Startup Lamoda in Gefahr?

Die Firma Lamoda ist der russische Ableger des Berliner Unternehmens Zalando. Gegründet und aufgebaut wurde es von vier jungen deutschen Entrepreneurs, die im russischen Online-Handel wirklich Pionierarbeit geleistet haben und ihr Startup nach und nach zum drittgrößten russischen Modeversand ausbauten.
Ich erinnere mich noch gut an eine Tagung, bei der zwei der Gründer von Lamoda zum Thema "Unternehmertum in Russland" referiert haben, und bei der der Konsens auf dem Podium war: Unternehmertum in Russland ist unglaublich kompliziert (aber wo ist es das nicht?), unglaublich schwierig (aber wo ist es das nicht?) und risiko/ertragreich. Also eigentlich ganz alles normal in Russland?
Es ist den Gründern des Unternehmens Lamoda nicht zu wünschen, dass sie ihre Meinung im Nachhinein werden revidieren müssen. Vielleicht hat aber heute für sie ein neues Kapitel des "Unternehmertums in Russland" begonnen, eins, das schon so viele vor Ihnen kennenlernen mussten und über das es schon wissenschaftliche Studien (Stichwort "corporate raids", bspw. von Michael Rochlitz) sowie Filme gibt (etwa der russische Film/Roman "Rejder").
Die Büros des Unternehmens wurden heute von der russischen Sonderpolizei "OMON" durchsucht. OMON, das sind eigentlich die Leute fürs Grobe, die auf Demonstrationen Staats-Gewalt ausüben und in ihren Outfits immer sehr martialisch daherkommen. Wen bekämpfen diese Staatsdiener aber im Startup Lamoda?
Unter russischen Geschäftsleuten heißt der Auftritt, der bei Lamoda dem Vernehmen nach stattgefunden hat, "Maski Show". Maskierte Männer stürmen dabei Büros, häufig auch mit Maschinengewehren bewaffnet, um erst einmal mächtig Eindruck zu machen. Dann entwenden sie Dokumente und Computer, wie es laut "Skandalsender" Lifenews auch bei Lamoda geschehen ist, und ... danach können verschiedene Dinge passieren. Wir wünschen den Jungs von Lamoda nur das Beste, aber wenn man sich den Fall von Hermitage Capital anschaut, sehr schön (und sehr dramatisch) zusammengefasst in diesem Video, dann sieht es nicht gut aus.
Irgendjemand will etwas von der Firma Lamoda. Vielleicht ist die Firma zu erfolgreich und dadurch zu einem Leckerbissen geworden? Jetzt geht es darum: Wie mächtig ist diese Person? Wie viel will diese Person?
Es könnte der Auftakt zu einem Wirtschaftskrimi sein, wie er bisher unter den zahlreichen Online-Startups in Russland eher selten war, da diese Unternehmen nach einer feindlichen Übernahme, d.h. ohne die Gründer, häufig nur noch schlecht funktionieren. Oder ist alles am Ende nur ein Missverständnis? Die nächsten Tage werden spannend - sowohl für Lamoda, als auch für einen ganzen - den innovativsten - Wirtschaftszweig Russlands.


Der Link zur Homepage von Janis Kluge: http://www.janis-kluge.com

Mittwoch, 19. November 2014

Selbstbedienung nach Dienstgrad

War Putins Präsidentschaft in den letzten 14 Jahren ein Heilsbringer für die russische Wirtschaft oder hat sich das russische BIP vielmehr trotz Putin, und nicht wegen ihm verdoppelt? Was ist von seinen Wachstumsankündigungen in der ARD zu halten? Grundsätzlich lassen sich zwei Positionen hierzu ausmachen:

Die kritischeren Beobachter verweisen auf die gestiegenen Rohstoffpreise als Erklärung für das Wachstum in der Vergangenheit und fügen hinzu, dass die Korruption, einer der Wachstumstöter schlechthin, unter Putin vermutlich eher zu- als abgenommen hat. Die andere Seite behauptet, die wirtschaftlichen Erfolge gingen darauf zurück, dass mit Putins Amtsantritt neue und verlässlichere Regeln für Wirtschaft und Staat geschaffen wurden, wie die Vereinfachung des Steuersystems oder der kolportierte "Schaschlik-Deal" zwischen dem Kreml und den Oligarchen.

Was gilt nun - mehr Korruption oder mehr Regeln? Berichte wie die neuesten Ermittlungen von Reuters lassen eine Erklärung zu, in der beide Seiten recht haben. Die Korruption in Russland hat nicht abgenommen, aber sie verläuft in geordneteren Bahnen. Zwar ist das Brechen des Gesetzes an sich kein Problem, ein Problem ist aber das unangemessene Brechen des Gesetzes. Wie der Polizeichef seinem Untergebenen in Gogols Revisor vorwirft: "Nje po tschinu berjosch!" - du nimmst nicht nach Dienstgrad. So lässt sich erklären, dass es auch in Putins Russland immer wieder genuine Strafverfolgung gegen Korruption gibt. Danach hat sich etwa der ehemalige Verteidigungsminister Serdjukow über die Maßen bedient, bevor die Staatsanwaltschaft gegen ihn aktiv wurde.

Putin hat jene Unternehmen, die die größten Möglichkeiten für Korruption bieten, unter staatliche Kontrolle gebracht. Diese Unternehmen mögen nun nach innen so funktionieren wie Unternehmen überall auf der Welt. Trotzdem sind sie ein Vehikel, um Macht in Geld zu verwandeln. Dies geschieht an den Schnittstellen zwischen Firmen: Wann immer etwas verkauft oder gekauft wird, insb. von staatlicher Seite, bieten sich die Chancen, mitzuverdienen. Ein klassisches Beispiel ist, dass die Verantwortlichen auf der Seite des Einkäufers und der Seite des Verkäufers gemeinsam eine kleine Offshore-Firma gründen, über die das Geschäft abgewickelt wird. Nun drückt der Verkäufer seinen eigenen Preis etwas und der Einkäufer erhöht seinen, und schon macht die Offshore-Firma einige Millionen Dollar Gewinn.

Die engsten Vertrauten von Putin arbeiten an der Spitze von großen Staatskonzernen. Dort erhalten sie stattliche, aber keine unanständig Gehälter. Wenn man den Ermittlungen russischer Blogger Glauben schenken will, leben diese Direktoren aber auf unanständig großem Fuße. Es gibt inzwischen viele Luftaufnahmen von schlossähnlichen Anwesen am Rande Moskaus, wie etwa dieses hier, das dem Chef der staatlichen Eisenbahngesellschaft gehören soll: Jakunins Villa. Die Möglichkeiten, nebenher etwas zu verdienen, richten sich vor allem nach dem Umsatz eines Unternehmens, und hier sind Staatskonzerne Spitze.

Worin besteht jetzt der Unterschied zu den 1990er Jahren? Die Korruption ist etwas berechenbarer geworden. Es ist klarer, wer wieviel nehmen darf, weil es mit der Elite um Putin einen klaren Referenzpunkt gibt. Diese Konsolidierung macht das Planen für Unternehmen einfacher und führt zu einem gewissen Wachstum. In den 1990ern war es die Unvorhersehbarkeit der Korruption, die die Wirtschaft zerstörte, nicht die Korruption an sich.

Trotzdem gibt es klaren Grenzen, abgesehen von der zersetzenden Wirkung der Korruption. Denn auch wenn die "geordnete" Korruption in Russland Wachstum nicht ganz verhindert - sie schafft auch keines. Es braucht es noch einen Antreiber, den "drajwer" - driver für Wachstum, der in den vergangenen Jahren in Russland in vieler Munde war. In den 00er Jahren waren das die Ölpreise. Seit einigen Jahren kommen hier aber keine Impulse mehr, die Preise stagnieren.

Die Hoffnung, Innovation zum neuen "draiwer" zu machen, haben sich derweil nicht erfüllt. Unternehmer, die politisch keinen Einfluss haben, haben in Russland etwa den Status von Wilddieben im Wald des Fürsten. Von ihnen ist kein Konkurrenzdruck zu erwarten. Die politisch einflussreichen Unternehmer konzentrieren ihre Innovationskraft hingegen offensichtlich auf das Entwickeln ausgefeilter Offshore-Firmen-Netzwerke (interessant hierzu: die Forschungsarbeit von Baumol zu produktiven und destruktiven Entrepreneuren). Putins ambitionierte Wachstumspläne von 3% im Jahr 2016 sind vor diesem Hintergrund ohne eine Veränderung der Rohstoffpreise nicht zu erreichen.