Dienstag, 10. März 2015

Die Krise - Teil 5: Prognosen und Auswege

Die politischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind in Russland etwas schwerer vorherzusagen als bswp. in den Ländern der Europäischen Union. Während die Griechen auf die wirtschaftliche Härte der vergangenen Jahre - gerechtfertigt oder nicht - mit dem Abwahl der Regierung reagieren konnten, ist dies in Russland keine Option. Wenn aber die Verantwortlichen nicht zur Verantwortung gezogen werden können und eine wesentliche Ursache (der Ukraine-Krieg) jenseits ökonomischen Kalküls stattfinden soll, dann kommt politisch der Suche nach Sündenböcken eine entscheidende Rolle zu. Auch wenn die Sanktionen ihren Anteil an der schwierigen Situation in Russland haben, wäre es politisch für den Kreml schwer vertretbar, die gesamte Verantwortung auf den Westen zu schieben, da dies ein Eingeständnis der eigenen Abhängigkeit und Verwundbarkeit wäre. Es müssen also auch Buhmänner innerhalb Russlands gefunden werden.

Neue Regierung?
Zunächst kommen dafür diejenigen Politiker infrage, die in den vergangenen Monaten wirtschaftliche Entscheidungen getroffen haben. Dabei ist es unerheblich, dass diese Entscheidungen nur marginalen Einfluss auf die von Ukraine-Politik und Ölpreis ramponierten ökonomischen Aussichten gehabt haben. Die Zentralbankchefin Nabiullina und der Finanzminister Siluanow währen naheliegende Ziele, sollten die Staatsmedien die Notwendigkeit sehen, die Enttäuschung der russischen Bürger zu kanalisieren. Ex-Präsident und aktueller Premierminister Medwedjew, über dessen Entlassung schon seit längerer Zeit spekuliert wird, wäre danach ein schwergewichtigeres Bauernopfer. Ich halte die Entlassung von allen dreien im Laufe dieses Jahres für wahrscheinlich, wenn der Ölpreis weiterhin nicht deutlich über $60 steigt. Für diese These spricht, dass die Krisenpolitik von Regierung und Zentralbank unkoordiniert und hilflos wirkte (zum Teil wirken musste). Außerdem ist Siluanow für die einflussreichen Silowiki, also die Waffenträger unter den Beamten, der größte Spielverderber in Russlands Politik, da er immer wieder die überproportional wachsenden Ausgaben (aktuell 40% des Budgets) für diesen Teil der Staatsdiener kritisiert.

Zahltag für Oligarchen?
Bei einer längeren Krise, nach der es im Augenblick aussieht, müssten auch die russischen Oligarchen Federn lassen. Sie können in ihren Betrieben nur in guten Zeiten nach ökonomischen Prinzipien walten und müssen in schlechten der Politik Vorrang lassen. Neben dem Tabu von Massenentlassungen könnte von ihnen erwartet werden, dass sie andere, in Not geratene Betriebe unterstützen oder gar dem Staat bei der Bekämpfung der Krisensymptome unterstützen. Das gilt nicht nur für die größten Großunternehmer auf föderaler Ebene. Auch die Gouverneure von Regionen werden versuchen, örtliche Unternehmer zur Unterstützung zu verpflichten, wenn akute soziale Probleme bei der Gesundheits- oder gar Lebensmittelversorgung auftreten. Besonders die Unternehmer, die mit Staatsaufträgen ihr Geld verdienen, werden im Zweifelfall länger auf ihre Bezahlung warten müssen.

Stabilität bis zur Duma-Wahl um jeden Preis?
Der neue, kürzlich veröffentlichte Budgetentwurf für die Jahre 2015 und 2016 legt einen deutlich niedrigeren Ölpreis zugrunde als das illusorische, im Dezember verabschiedete Budgetgesetz (im Dezember: $100, jetzt: $50, für 2016 $65 und für 2017 $70). Zu diesen Preisen entsteht ein deutliches Budgetdefizit. Für 2015 wird es - trotz Einsparbemühungen - auf 3,8% des BIP veranschlagt. Finanziert werden soll es zu großen Teilen aus dem Reservefonds. Es ist geplant, diesen bis Ende 2016 fast komplett aufzubrauchen. Bei gering bleibenden Ölpreisen zeigt das, dass die Regierung große mittelfristige Risiken (ohne Reserven dazustehen) in Kauf nimmt, um die Stabilität bis Ende 2016 zu garantieren. In meinen Augen ist diese Politik u.a. mit den Ende 2016 anstehenden Duma-Wahlen zu erklären.

Schauprozesse gegen "Korruptionäre"?
Wenn in der Krise die Arbeitslosigkeit steigt und die Realeinkommen der Russen fallen, steigt die Wut auf die korrupte und dekadente Elite (wie bspw. Julia Alferow, die zuletzt ihre Katze mit Kaviar fütterte). Während der Großdemonstrationen 2011-2012 war es dem Oppositionspolitiker Nawalnyj gelungen, diese Wut zum Teil gegen Putin selbst zu richten (einer der zentralen Slogans der Proteste war damals: "Putin ist ein Dieb"). Um das zu verhindern, könnte der Kreml Schauprozesse gegen hochrangige Politiker bemühen (wie etwa Ende 2012 gegen den damaligen Verteidigungsminister Serdjukow). Es ist davon auszugehen, dass in Moskau für solche Fälle ausreichend Beweise vorrätig sind: das sog. Kompromat, das als wichtiges Instrument zur Disziplinierung der "Würdenträger" gilt.

Auswege aus der Krise
Zwei Auswege aus der Krise sind naheliegend: steigende Ölpreise und ein Ende des Ukraine-Krieges. Nur der letztere liegt in der Hand des Kremls. Da bei einer sich verschärfenden Wirtschaftskrise der Bedarf nach medialer außenpolitischer Ablenkung steigen könnte, ist mit geopolitischer Entspannung leider erst einmal nicht zu rechnen. Auch bezüglich der Ölpreise überwiegt angesichts des derzeitigen Angebotsüberschusses die Skepsis, solange keine politischen Krisen in ölfördernden Staaten entstehen. Momentan sieht aus auch nicht danach aus, dass die Krise als Anlass für grundlegende, strukturelle Reformen genommen wird. Im Gegenteil: Die problematische Verquickung von Staat und Wirtschaft scheint sich durch die staatlichen Hilfen für Großunternehmen und die politische Einmischung in ökonomische Entscheidungen eher zu verstärken. Die aktuell versuchte Importsubstitution schafft zwar kurzfristig Arbeitsplätze in Russland, allerdings gehe ich nicht davon aus, dass sie zu einer Steigerung der Effizienz - dem einzigen ökonomisch zu rechtfertigenden Ziel der Importsubstitution - führen wird. Aktuell ist daher kein alternativer Antrieb für einen neuen russischen Aufschwung in Sicht.

Sonntag, 8. März 2015

Die Krise - Teil 4: Die Lage 2008 und 2013 im Vergleich

Als die Finanzkrise im Jahr 2008 und 2009 entgegen der Erwartungen der russischen Regierung auch Russland erfasste, war die Ausgangssituation eine ganz andere als vor der aktuellen Krise. Zwar brach das russische BIP im Jahr 2009 um 7,8% ein, allerdings verfügte der Staat vor allem durch den Stabilisierungsfonds über ausreichende Mittel, um die meisten Russen vor drastischen Krisenauswirkungen zu schützen. Im Folgenden sind einige wichtige Unterschiede zwischen den Vorkrisen-Jahren 2008 und 2013 dargestellt. Der offensichtlichste und vielleicht auch wichtigste Unterschied - die geopolitische Lage - soll dabei erst einmal ausgeblendet werden.

Das Verhältnis von Auslandsschulden und Reserven - 2008 verfügte der Russland über Devisenreserven in Höhe von etwa $600 Mrd., während die Verschuldung der Unternehmen im Ausland bei knapp über $400 Mrd. lag. Diese Relation hat sich nun umgekehrt. 2013 lagen die Auslandsschulden der Unternehmen deutlich über $600 Mrd, die Reserven um die $500 Mrd.

Die wirtschaftliche Dynamik - Von 2004 bis 2008 erlebte Russland einen enormen Wirtschaftsboom mit jährlichen Wachstumsraten zwischen 5% und 8%. Die Finanzkrise erwischte das Land in einer Phase der wirtschaftlichen Euphorie. Ende 2013 sind die Ausgangsbedingungen ganz anders: Obwohl die Ölpreise fast doppelt so hoch waren wie während der Boomjahre Anfang der 2000er, wuchs die russische Wirtschaft schließlich nur mit 1,3%. Die Gründe hierfür liegen zum geringeren Teil außerhalb des Landes (das Ende der quantitative-easing-Politik der USA). Innerhalb Russlands wird schon seit einigen Jahren ein ökonomischer "driver" vermisst, irgendetwas, das für Wachstum sorgen könnte. Offensichtlich sind die catch-up-Prozesse und der Ölpreis hierfür nicht mehr stark genug. Auf Innovation wurde gehofft, aber schließlich wurde sie nur als "top-down"-Vorgang verstanden, während Innovation durch Wettbewerb und kreative Zerstörung durch die Schwäche der rechtlichen Institutionen kaum möglich war.

Die öffentlichen Haushalte im allgemeinen - Während sich ein Haushaltsüberschuss in Krisenzeiten problemlos umverteilen lässt, ist der umgekehrte Vorgang - das Kappen von Ausgaben - ein schwieriger und politisch konfliktreicher Vorgang. Vor der Krise 2009 erwirtschaftete Russland große Haushaltsüberschüsse. Die Ausgabenpositionen - und damit die Ansprüche der Empfänger staatlicher Gelder - waren weit weniger umfangreich. Dem Finanzminister Kudrin gab dies 2009 wichtigen Handlungsspielraum. Obwohl der Staat inzwischen wesentlich mehr einnimmt als damals, sind die Ausgaben in der Zwischenzeit überproportional gewachsen. Hier sind besonders die Militärausgaben erwähnenswert, die 2015 zum ersten Mal über 20% des Haushalts ausmachen werden. Die neue Ausgabenstruktur sorgte bereits 2013 für ein Haushaltsdefizit - trotz sehr hoher Ölpreise. Der aktuelle Finanzminister Siluanow hat es jetzt wesentlich schwerer, einen Krisenhaushalt aufzustellen. Ursprünglich waren Ausgabenkürzungen von 10% für 2015 geplant. Letztlich konnte Siluanow nur 2% durchsetzen.

Die Haushalte der Regionen - Die russischen Regionen finanzieren sich vor allem über die Einkommenssteuern und die Körperschaftssteuern. Die wichtigsten Ausgabenposten sind die Gesundheitsversorgung und die Bildung. In den vergangenen Jahren hat die Verschuldung der Regionen deutlich zugenommen, was nicht zuletzt daran lag, dass wichtige Einnahmen- und Ausgabenposten in populistischen Manövern aus Moskau diktiert wurden (höhere Gehälter, geringere Gebühren). Im Jahr 2014 wuchsen die Schulden der Regionen um 29 Prozent auf 1,7 Billionen Rubel an (immerhin fast ausschließlich in Rubel und bei inländischen Banken). Seit 2009 haben sie sich verdreifacht. Die Regionen sind daher in der Krise wesentlich mehr als 2009 auf die Unterstützung aus Moskau angewiesen und die Situation in den sozialen Einrichtungen könnte sich schneller zuspitzen.

Lokale vs. weltweite Krise - Russland ist zwar nicht das einzige Land, das unter den sinkenden Ölpreisen leidet, aber im Unterschied zu 2009 geht es den westlichen Industrieländern aktuell recht gut. Vor allem in den USA deutet sich aktuell ein neuer Wirtschaftsboom an. Dies hat zur Folge, dass Russland nicht von Anti-Krisen-Politik anderer Länder profitieren kann. Zwar sichert die allgemein gute Lage im Westen die Preise der Rohstoff-Exporte jenseits von Öl und Gas, aber die zunehmend restriktivere amerikanische Geldpolitik sorgt dafür, dass die USA für Investoren wieder interessanter werden und weniger Kapital den Weg in andere Märkte sucht. Die dagegen sehr expansive Geldpolitik der Zentralbanken während und nach der Finanzkrise hatte auch positive externe Effekte auf Russlands wirtschaftliche Entwicklung, wo sie wie eine Kapitalspritze fungierte (die hohe Auslandsverschuldung der russischen Unternehmen zeigt dies).

Der Arbeitsmarkt - Zu guter Letzt gibt es auch eine gute Nachricht im Vergleich der russischen Wirtschaftskrisen. Die Arbeitslosigkeit war zuletzt auf einem historischen Tiefststand angekommen. Lag sie vor der Krise 2009 bei - auch schon sehr guten - 5,5%, war der entsprechende Wert, fiel sie Mitte 2014 sogar noch auf 4,8%. Inzwischen macht sich die Krise allerdings auch in dieser Statistik bemerkbar (aktuell: 5,5%).

Freitag, 6. März 2015

Die Krise - Teil 3: Der Pikaljowo-Komplex

"In Pikaljowo stand eine Werk, von dem die ganze Stadt abhing,
dort arbeite das Volk, friedlich, und es streikte nie,
aber als das Werk geschlossen wurde, begann der Aufruhr,
wer gibt uns das Werk zurück um uns zu beruhigen?
Putin, Putin fährt nach Pikaljowo,
Putin, Putin macht es wieder gut.
Putin, Putin komm schnell und bestrafe sie,
Putin, Putin unser Premierminister,
Wer in der Krise Werke schließt,
Der bekommt's von Putin."

Mit diesem Text besang die russische Band Murzilki International im Jahr 2009 treffsicher ein wichtiges Grundprinzip des russischen Kapitalismus. Die Hintergrundgeschichte: Im Herbst 2008 wollte der Oligarch Deripaska einen Zementzulieferer restrukturieren und dort Zement herstellen, anstatt die Zutaten für Zement an ein anderes Werk der Stadt zu verkaufen. In einer Kettenreaktion, die für die sowjetisch geplanten Wertschöpfungsketten Russlands typisch sind, standen plötzlich zwei Firmen der Stadt ohne ihren entscheidenden Zulieferer da und kündigten Massenentlassungen an. Die gesamte Stadt, die eigentlich nur um diese Fabriken herum gegründet wurde, stand vor dem Aus. Die Arbeiter der Firmen organisierten Demonstrationen in Pikaljowo und Sankt Petersburg und errichteten Straßenblockaden. Am 4. Juni reiste Putin mit einer beeindruckenden Entourage per Helikopter an und zwang Deripaska medienwirksam wie einen Schuljungen dazu, vor laufender Kamera die Rücknahme seiner Entscheidung zu unterschreiben. Als Deripaska am Ende des "Schauprozesses" an seinen Platz am Konferenztisch zurückkehren wollte, wurde er in strengem Ton aufgehalten: "Rutschku vernite" - Putin verlangte noch seinen Kugelschreiber zurück.

Deripaska hat sein Wirtschaftsimperium unter Putin erfolgreich ausbauen können. Das Video zeigt in wenigen Augenblicken, was der Schlüssel zum Erfolg ist - Unterordnung, sich auch mal erniedrigen lassen, es pragmatisch sehen. Das Video zeigt auch, dass Zahlen wie die Staatsquote in Russland kein guter Indikator für die Macht des Staates in der Wirtschaft sind. Auch in die Entscheidungen privater Unternehmen kann sich die Exekutive problemlos einmischen.

Vor allem aber haben die Arbeiter in anderen Städten ganz genau hingesehen, wie ihre Pikaljower Kollegen die Krise überwunden haben. Es wäre für Putins Image als starker Mann außerordentlich schlecht, wenn er für die hart arbeitende Bevölkerung der Industriestädte nichts tun könnte. Es lässt sich medial noch verkaufen, wenn es den "arroganten" Großstädtern schlecht geht, aber die loyalste Gefolgschaft fallenlassen - dann sähe Putin machtlos aus, was für einen autoritären Präsidenten ein großes Problem ist.

Eine ähnliche Situation entstand kürzlich in der Stadt Twer, die unweit Moskaus an der Wolga liegt. Twer ist ein wichtiges Zentrum des russischen Maschinenbaus. Unter anderem werden dort Eisenbahn-Waggons hergestellt. Als zuletzt die Aufträge der russischen Staatsbahn ausblieben, kündigte das Management des Unternehmens an, 2000 Mitarbeiter zu entlassen und die Produktion auszusetzen. Daraufhin meldete die Gewerkschaft eine Protestkundgebung in Twer an. Das Motto der Aktion: "Nein zu Entlassungen!". Das sah man im föderalen Zentrum in Moskau überhaupt nicht gerne, sodass der zuständige Gouverneur dazu angehalten wurde, den Protest abzuwenden. Der Gouverneur versuchte daraufhin, Druck auf die Werksleitung auszuüben, von den Entlassungen Abstand zu nehmen. Die Werksleitung verwies auf die fehlenden Aufträge und schob den schwarzen Peter weiter an die Staatsbahn. Die Staatsbahn fing sich einen Rüffel von oberster Stelle ein, weil sie kürzlich aus Spanien einige Waggons gekauft hatte, was so garnicht ins derzeitige politische Klima passte. Die Staatsbahn klagte dann wiederum, dass das Finanzministerium ihr keine finanzielle Unterstützung zuteil werden lasse. Schließlich ließ sich die Staatsbahn mit einer Finanzspritze dazu bewegen, zusätzliche Aufträge an die Twersker Waggonfabrik zu geben und damit die Arbeitsplätze für's erste zu retten. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit musste die Staatsbahn damit politische Ärgernisse lösen - zuletzt wurden unrentable Nahverkehrszüge wieder eingeführt.

Dass eine derartige Politik auf Dauer nicht gut geht, ist abzusehen. Die aktuelle Krise hat einen anderen Charakter als die Finanzkrise im Jahr 2009. Der größte Unterschied ist neben dem Absturz des Rubels, dass die russische Wirtschaft bereits vor der Krise stagnierte. Zwar wird es keinen Konjunktur-Einbruch um 8% geben wie 2009 (u.a. weil jenseits von Öl und Gas die Rohstoffpreise stabil sind), aber dafür wird die Krise länger andauern. Aufgrund des fallenden Ölpreises verfügt der Staat nicht mehr über die Mittel, um alle Unternehmen zu retten, auch wenn inzwischen ein Hilfsprogramm aufgelegt worden ist, von dem auch die Twersker Werke profitieren werden.

Irgendwann, vermutlich im Verlauf dieses Jahres, wird es ein Pikaljowo geben, und Putins Helikopter wird nicht kommen. Was können die Folgen sein? Zunächst wird es natürlich Proteste geben. Allerdings dürfen diese Proteste nicht mit den Kundgebungen der Opposition in Moskau verwechselt werden. Während es in Moskau darum geht, das politische System zu verändern ("wir wollen keinen Zar"), berufen sich die Demonstranten in den kommenden "Pikaljowos" auf das System ("wir brauchen dich, Zar"). Den Arbeitern sind die Oppositionellen in Moskau sehr suspekt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Arbeiter Igor Cholomanskich aus einer Panzerfabrik im Ural, der Putin bei einer großen Pressekonferenz live die Unterstützung gegen die Moskauer Proteste anbot: "Wenn die Polizei damit nicht umgehen kann, komme ich mit meinen Männern rüber und verteidige unsere Stabilität!". Die Karriere von Cholomaskich ging daraufhin übrigens steil aufwärts.

Wenn es in diesem Jahr zu Protesten von Arbeitern kommt, wird zunächst die Kommunistische Partei Russlands profitieren. Sie spricht die Sprache der Arbeiter und brachte sich in Twer bereits in Position: Als es um die Proteste der Waggonarbeiter ging, war ein Duma-Abgeordneter der Kommunisten sofort zur Stelle. Je nach Ausmaß der Krise könnten radikal linke Ideen für die Russen also wieder interessanter werden. Bevor es dazu kommt, wird Putin aber alle verfügbaren Ressourcen mobilisieren und selbstverständlich - wie in Pikaljowo - die Oligarchen melken. Dass die russischen Eigentumsrechte eher einem Lehnswesen gleichen, wird daher im Verlauf dieses Jahres sehr deutlich werden.

Donnerstag, 5. März 2015

Die Krise - Teil 2: Wie lange halten Russlands Reserven?

Die Devisenreserven und die niedrige Auslandsverschuldung der Russischen Föderation sind der wichtigste Grundpfeiler der zuletzt wachsenden Großmacht-Ambitionen im Kreml. Nicht die Anzahl der Atomsprengköpfe entscheiden darüber, wie sehr Russland außenpolitisch auf Konfrontation gehen kann, sondern die wirtschaftliche Konstitution.

Das System der Absicherungs-Fonds, die bei hohen Ölpreisen gefüllt und bei niedrigen geleert werden sollen, wurde noch unter dem ehemaligen Finanzminister Kudrin in den frühen 2000er Jahren eingeführt. Vielleicht hat er seinen Job zu gut gemacht: Die von ihm angelegten Reserven haben es Russland erlaubt, trotz eines kurzen wirtschaftlichen Einbruchs relativ unbeschadet durch die Finanzkrise 2008-2009 zu kommen. In der Folge hat sich ein Gefühl der ökonomischen Unverwundbarkeit in der russischen Politik ausgebreitet, das wiederum zu einer gefährlichen Abkehr von Kudrins Sparpolitik geführt hat. Während wirtschaftspolitische Zielsetzungen (die sog. Mai-Ukazy zu Beginn von Putins 3. Amtszeit) sich inzwischen als reine Rhetorik erwiesen haben, ist die eigentliche politische Energie und ein stetig wachsender Teil der finanziellen Mittel in den Aufbau der militärischen Schlagkraft geflossen.

Die Gegenüberstellung von Russlands Devisenreserven und den Schulden, die russische Unternehmen im Ausland aufgenommen haben, ist ein guter Indikator für die finanzielle Nachhaltigkeit und den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum von Regierung und Zentralbank. Der Zusammenhang: Wenn russische Unternehmen ihre Kredite in ausländischer Währung zurückzahlen, entsteht ein Abwertungsdruck auf den Rubel: Die Unternehmen bieten ihre Rubel (aktuell besitzen sie davon noch genug) an und fragen Dollar nach, um die Kredite zu begleichen. Die Folge eines schwächeren Rubels sind verteuerte Importe und Inflation. Wenn die Zentralbank dieses Rubelangebot ausgleichen will, um ein Fallen des Rubels zu verhindern, muss sie eine entsprechende Menge Dollars aus ihren Reserven auf dem Markt anbieten und gegen Rubel eintauschen.

Wie groß sind die russischen Reserven der russischen Zentralbank? Derzeit sind es noch $365 Mrd. Der aktuelle Stand lässt sich hier einsehen. Ein stets aktueller grafischer Verlauf findet sich hier. Die Reserven setzen sich aus verschiedenen Positionen zusammen, die nicht alle gleichermaßen liquide sind. Nur ein Teil kann im zweifelsfall schnell eingesetzt werden, um den Rubel zu stützen (eine gute Aufstellung der Bestandteile). Schnell und unkompliziert einsetzbar sind derzeit lediglich $145 Mrd. Im vergangenen Jahr hat die Zentralbank etwa $80 Mrd. aufgewendet, um den Rubel zu stützen. In diesem Jahr hat sie sich bisher zurückgehalten - dass die Reserven in Dollar ausgedrückt aktuell weiter fallen liegt daran, dass ein guter Teil in Euro investiert ist und der Euro gegenüber dem Dollar zuletzt deutlich an Wert verloren hat ("exchange rate changes" sind für die Änderung verantwortlich).

Die Auslandsverschuldung der russischen Unternehmen liegt weit über dem Umfang der Zentralbank-Reserven. Im Jahr 2013 waren es ca. $650 Mrd. Diese Verschuldung wäre kein Problem, wenn den russischen Unternehmen nicht der Zugang zu westlichen Kapitalmärkten abgeschnitten worden wäre. Hier machen sich die Sanktionen, aber auch die Risikowahrnehmung der westlichen Geldgeber bemerkbar. Die russischen Unternehmen können ihre Kredite im Westen nicht durch neue Kredite ablösen, sondern müssen sie zurückzahlen, wodurch der Rubel erst unter Druck gerät. Eine Übersicht der Auslandsschulden der Unternehmen findet sich hier im ersten Bild. Das vierte Bild zeigt außerdem den Fahrplan der Rückzahlung. Hier wird deutlich, dass besonders viele Kredite im Dezember 2014 ausliefen, dem Monat, in dem der Rubel sich kurzzeitig im freien Fall befand. Es zeigt sich aber auch, dass in den kommenden 12 Monaten etwa $100 Mrd. an Krediten an ausländische Geldgeber zurückgezahlt werden müssen.


Sollte der Ölpreis sich erholen, würden auch die ganz finsteren Gewitterwolken über Russlands Ökonomie wieder verschwinden. Ob es zu dieser Erholung kommt, ist aber überhaupt nicht abzusehen. Gerade heute hat die Energy Information Administration in den USA wieder einen neuen Rekord bei Förderung und Beständen an Rohöl gemeldet. Die hohen Lagerbestände zeigen nebenbei, dass Verschwörungstheorien (die USA wollen den Ölpreis senken um Russland zu schaden) wenig stichhaltig sind.

Bleibt der Ölpreis für längere Zeit auf dem aktuellen Niveau und bleiben auch die Sanktionen bestehen, so wird der Handlungsspielraum der Zentralbank in etwa 18 Monaten deutlich abnehmen. Die Folge wäre allerdings keine Staatspleite o.ä., sondern weitere Kursverluste beim Rubel, die über Importwaren-Preis (etwa für Medikamente) und Inflation vor allem sozial schwächere Teile der russischen Bevölkerung träfen.

Zur Webseite von Janis Kluge: http://www.janis-kluge.com

Dienstag, 3. März 2015

Die Krise - Teil 1: Die Bauindustrie

Als Begleit-Posts zu meinem Vortrag zur russischen Wirtschaftskrise am 4.3.2015 für den Verein Ostblick e.V. werde ich in den nächsten Tagen einige Aspekte der aktuellen russischen Wirtschaftskrise beleuchten. Den Anfang macht die russische Bauindustrie. Für diesen Wirtschaftszweig wird 2015 wegen fehlender Gastarbeiter, einer hohen Unternehmensverschuldung und einem Rückgang der Hypothekendarlehen ein schwieriges Jahr.

Der Bausektor nimmt in Russlands Wirtschaft eine Sonderrolle ein. Es ist der einzige große Industriezweig, in dem weder der russische Staat noch ausländische Investoren eine nenneswerte Rolle spielen. Außerdem gibt es hier den unternehmerischen Mittelstand, der sonst in Russland selten ist: Knapp 1800 Firmen haben zwischen 100 und 250 Beschäftigte. Die Bauindustrie trägt direkt etwa 8% zum BIP Russlands bei, wobei es indirekt doppelt so viel sein dürfte, da die Hersteller wichtiger Baumaterialien wie Zement und Stahlbeton ebenfalls zum größten Teil in Russland angesiedelt sind. Nur bei den schweren Baumaschinen ist die russische Produktion inzwischen von günstigeren chinesischen Importen bzw. moderneren westlichen Importen zum größten Teil verdrängt worden. Einschließlich der Zulieferer hängt mindestens 1/6 der russischen Wirtschaft am Schicksal der Branche.

Auch wenn die Baubranche nicht von Importen oder ausländischen Investoren abhängig ist, ist sie keine ausschließlich russische Domäne. Gastarbeiter aus Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan verrichten hier den Großteil der schweren Arbeit, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Diese Arbeiter leben in Russland unter erniedrigenden Bedingungen, dicht gedrängt in ungeheizten Wohnungen und arbeiten häufig über 12 Stunden pro Tag. Nicht nur die russische Umgangssprache behandelt sie als "rabsila", d.h. Sklavenkräfte. Trotzdem arbeiten aufgrund der wirtschaftlichen Not in der Heimat - je nach Schätzung - 10 bis 15 Millionen von ihnen in Russland.

Zwei Faktoren führen aktuell zu einer massenhaften Abreise dieser Arbeiter: Da die Remissen, also die Geldtransfers in die Heimat, in Dollar und nicht in Rubel abgewickelt werden, haben sich die effektiven Verdienstmöglichkeiten in Russland durch den Fall des Rubels im Jahr 2014 halbiert. Gleichzeitig sind Gastarbeiter mit einer Vielzahl neuer formaler Anforderungen belegt worden. Die Gebühr für eine Arbeitsgenehmigung in Moskau hat sich bspw. von 600 auf 4000 Rubel monatlich erhöht (die Gastarbeiter verdienen etwa 15.000-30.000 Rubel im Monat). Teure Kurse der russischen Geschichte und Sprache, Reisepässe usw. sind ebenfalls neuerdings verpflichtend. Diese Verschärfungen sind vor allem eine populistische Antwort auf die Ressentiments der Moskauer gegenüber den Gastarbeitern. Nach einem Mord, den ein Aserbaidschaner begangen haben soll, kam es im Moskauer Stadtteil Biryulyova 2013 zu einer gewalttätigen Revolte von russischen Nationalisten mit 400 Verhaftungen. Man kann sich sicher sein, dass der Exodus der Gastarbeiter von vielen Moskauern und lokalen Politikern als politischer Erfolg gesehen wird. Die Bauindustrie wird die ausländischen Arbeiter vermissen.

Daneben ist für die Bauindustrie problematisch, dass sie mit 1 Billion Rubel (14 Mrd Euro) bei russischen Banken verschuldet ist. Um die Entwertung des Rubels zu bremsen, hat die russische Zentralbank die Refinanzierung für die Banken stark verteuert - der Leitzins wurde am 16.12. auf 17% erhöht. Seit dem 2. Februar liegt er bei 15%. Vor einem Jahr waren es noch 5,5%. Das Ablösen auslaufender Kredite durch neue ist deshalb für die Bauunternehmen nur zu wesentlich schlechteren Konditionen möglich. Die gute Nachricht ist, dass Bauunternehmer sich kaum mit Krediten in ausländischen Devisen verschuldet haben, sodass der Wechselkurs sich nicht unmittelbar auf die Verschuldung auswirkt. Dennoch werden die Probleme der Finanzierung für einige Unternehmen das Aus bedeuten.

Auch für die Kundschaft der Baufirmen ist die Zinsentwicklung ein großes Problem. Während die durchschnittliche Hypothekendarlehe aktuell mit 12% verzinst ist, liegt der Zins bei neuen Hypotheken ca. bei 20%. Nur wenige werden derzeit den Bau des Traum-Datscha in der grünen Umgebung Moskaus beginnen oder sich eine der Neubauwohnungen in der Stadt zulegen können. Besonders schwierig ist die Situation für diejenigen, die Hypothekendarlehen in ausländischer Währung aufgenommen haben. Diese waren zwar um einige Prozentpunkte günstiger, allerdings trägt der Kreditnehmer das Risiko der Änderung des Wechselkurses. Etwa 1/6 der "Häuslebauer" in Moskau haben diesen Weg gewählt. Inzwischen sind 15% von Ihnen im Zahlungsrückstand, während bei den Rubelkrediten nur 1,8% nicht fristgemäß bedient werden.

Eine Umfrage unter Baufirmen im 4. Quartal 2014 ergab, dass die meisten Unternehmen mit ihrer aktuellen Situation zufrieden sind. Allerdings sind die Veränderungen zu den vorherigen Umfragen zum größten Teil negativ. Der Auftragseingang ist zurückgegangen und es wird eher mit Entlassungen als mit Neueinstellungen gerechnet. Die Umfrage wurde dabei vor den radikalen Zinssteigerungen der Zentralbank und dem Beinahe-Crash des Rubels im Dezember durchgeführt. Aufgrund des längeren Planungshorizonts von Bauvorhaben trifft die Krise die Branche erst mit einer gewissen Verzögerung. Dafür werden die Folgen länger spürbar sein als in anderen Industrien, d.h. auch bei einer Erholung des Ölpreises in diesem Jahr wird die Krise den Bausektor und seine Zulieferer auch 2016 noch beschäftigen.