Freitag, 19. September 2014

Interview mit der Deutschen Welle

Hier die deutsche Version meines Gesprächs mit Andrej Gurkow von der Deutschen Welle:

DW: Der "Fall Jewtuschenkow" wird zur Zeit gerne mit dem "Fall Chodorkowski" verglichen - worin liegen in Ihren Augen die Gemeinsamkeiten und worin die Unterschiede?

Janis Kluge: Bei der Verhaftung Chodorkowskis haben in meinen Augend drei Faktoren eine Rolle gespielt: Erstens ein politischer - er unterstützte die Opposition und kritisierte Putin offen. Zweitens - ein Faktor persönlicher Ehrverletzung - Chodorkowski machte Putin einmal öffentlich für die Korruption in Russland mit verantwortlich. Drittens - ökonomische Interessen. Im Fall Jewtuschenkow sehe ich nur diesen dritten Faktor - den ökonomischen. Jewtuschenkow hat stets unterstrichen, dass er ausschließlich Geschäftsmann ist und dass die Wirtschaft dem Kreml gegenüber loyal sein soll. Er war eine Art Musterschüler-Oligarch. Sein Hausarrest bedeutet, dass die Spielregeln, denen in den vergangenen 14 Jahren ein russischer Großunternehmer folgen sollte, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten, offensichtlich nicht mehr gelten. Darin sehe ich die Besonderheit und die Bedeutung des "Falls Jewtuschenkow". Was außerdem auffällt: Die Russische Vereinigung der Industriellen und Unternehmer treten dieses mal sehr aktiv für Jewtuschenkow ein. In Chodorkowskis Fall haben sie geschwiegen.

DW: Wenn die vorherigen Spielregeln tatsächlich nicht mehr gelten: Wie bedroht das die russische Wirtschaft?

Janis Kluge: Die Außerkraftsetzung der vorherigen Regeln, nach denen es für Oligarchen genügte, politisch loyal zu sein, bedeutet nicht, dass automatisch neue Regeln entstehen. Es entsteht ein Zustand der Unbestimmtheit, die Risiken steigen, und das wirkt sich natürlich negativ auf die Wirtschaft, die Investitionen aus.

DW: Welche Bedeutung haben die Verbindungen von Jewtuschenkow zum ehemaligen Moskauer Bürgermeister Luschkow in diesem Fall?

Janis Kluge: Ich glaube nicht, dass diese Verbindungen hier eine bedeutende Rolle gespielt haben.

DW: Was halten Sie von der These, dass der Rosneft-Chef Igor Setschin hinter der Verhaftung steht, dass er Baschneft gerne selbst kontrollieren und den Preis des Unternehmens bei der Übernahme senken möchte?

Janis Kluge: Es gab bereits vor einem Jahr Medienberichte darüber, dass das Energieunternehmen NNK an einer Übernahme von Baschneft interessiert sei. NNK wird von Eduard Chudajnatow geletitet, dem ehemaligen Präsidenten von Rosneft, mit dem Setschin vertraut ist. Kurz darauf erklärte Jewtuschenkow, er plane, einen Teil der Aktion von Baschneft an der Londoner Börse zu platzieren. Ein Börsengang im Ausland gilt als eine Art Versicherung gegen feindliche Übernahmen in Russland. Chodorkowski hatte kurz vor seiner Verhaftung ebenfalls vor, ausländische Investoren einzubinden. Die Pläne für einen Börsengang von Baschneft in diesem Herbst wurden durch die in Ermittlungen gegen Baschneft durchkreuzt. Gleichzeitig wurde berichtet, dass Rosneft nun Interesse an einer Übernahme von Baschneft habe. Ich gehe davon aus, dass dieses Interesse schon länger bestand.

DW: Was meinen Sie - geht es bei diesem Fall um die Expansion eines konkreten Staatsunternehmens - oder geht es um eine Strategie des Kremls, deren Ziel es ist, der Regierung möglichst viele Ölunternehmen zu unterstellen?

Janis Kluge: In meinen Augen handelt es sich um unvermeidliche Folgen des politischen Regimes in Russland. Das "System Putin" basiert auf einer weitestgehenden Zentralisierung der Macht. Das führt zur Untergrabung von staatlichen Institutionen, etwa dem Rechtssystem. Das wiederum hat zur Folge, dass die Privatwirtschaft schlechter funktioniert, was wiederum die Bestrebungen von Putin bestärkt, alles per "Handsteuerung" zu regieren. Er treibt die Nationalisierung der Wirtschaft voran, um sie Personen zu unterstellen, denen er vertraut. Dabei untergräbt er weiter die Institutionen der Rechtsstaatlichkeit, die Privatwirtschaft wird weniger effektiv, was wiederum zu Nationalisierung und Zentralisierung führt. Dies ist der Teufelskreis, in den Russland geraten ist.

Der Link zur Homepage von Janis Kluge: http://www.janis-kluge.com

Der Link zum russischen Original: Original bei dw.de

Mittwoch, 17. September 2014

Der Fall des Wladimir Jewtuschenkow

Die Verhaftung des russischen Milliardärs Wladimir Jewtuschenkow ist das Ende eine Ära. Dem 65jährigen wird vorgeworfen, bei der illegalen Übernahme eines Ölunternehmens in Baschkortistan (Baschneft) beteiligt gewesen zu sein, indem er die übereigneten Aktien in seine Holding AFK Sistema "gewaschen" hat. Initiiert wurde die kriminelle Übernahme laut Anklage von Ex-Baschneft-Chef Ural Rachimow, dem Sohn des ersten Präsidenten von Baschkortistan, Murtasa Rachimow.

Nun ist dieser Vorwurf nichts besonderes. Ähnliche Verfahren laufen in Russland hundertfach in jedem Jahr, wovon die Statistik der "ökonomischen Verbrecher" in russischen Gefängnissen zeugt. Auch geschieht es häufiger, dass Mitglieder der obersten Führungsschicht Russlands in Ungnade fallen - zuletzt traf es den ehemaligen Verteidigungsminister Serdjukow, der nach einem gigantischen Korruptionsskandal entlassen wurde. Dies wurde damals als Zeichen gewertet, dass Putin dabei ist, die schlimmsten Auswüchse der Korruption einzugrenzen.

Die Verhaftung von Jewtuschenkow fällt aber in eine andere Kategorie. Der Aufstieg des Milliardärs ist eng mit der politischen Karriere des ehemaligen Moskauer Bürgermeisters Jurij Luschkow verknüpft. Der besonders in den 1990ern sehr mächtige Luschkow wurde bereits 2010 von Dmitri Medwedjew "abgesägt". Damit verlor Jewtuschenkow einen wichtigen Unterstützer. Aber die Oligarchen der Putin-Jahre haben dazugelernt und sichern sich inzwischen in alle möglichen Richtungen ab. Jewtuschenkow selbst betonte in einem Interview des Fernsehkanals TV Doschd, dass er viele gute Freunde auf vielen Seiten habe. Er war Putin gegenüber absolut loyal. Auch spielte er nicht das unter den Kollegen Jewtuschenkows beliebte und vom Kreml ungern gesehene Offshore-Spielchen: Während bspw. Michail Fridman (der zweitreichste Russe) seine russischen Unternehmen über ineinander verschachtelte Investment-Gesellschaften in vier verschiedenen Steueroasen betreibt, ist Jewtuschenkows Holding stets "dem Vaterland treu" geblieben.

Dass diese Strategie im Fall von Jewtuschenkow nicht aufging, wird die Wirtschaftselite in Russland erschrecken. Seit Chodorkowskij ist kein Oligarch ersten Ranges mehr zu Fall gebracht worden. Die kolportierte Übereinkunft zwischen den Milliardären und Putin - wir halten uns aus der Politik raus und du lässt uns wirtschaften - scheint gebrochen. Und das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt - die Verhaftung trifft das Wirtschaftsklima in Russland hart und wird zu weiterer Kapitalflucht führen, zu einer Zeit, in der Sanktionen und Ukraine-Krieg schwer auf der russischen Ökonomie lasten.

Putin kann dies nicht schmecken. Eine mögliche Interpretation der Situation ist, dass der von Putin stark gemachte Igor Setschin, der den Ölkonzern Rosneft kontrolliert und auch auf den Sanktionslisten steht, das Unternehmen in Baschkortistan gerne seiner Sammlung hinzufügen würde. Setschin hatte zuletzt sogar in den Märkten von Gasprom gewildert, ist also zweifellos enorm selbstbewusst. Durch die Verhaftung von Jewtuschenkow hat er bereits den möglichen Kaufpreis von Baschneft deutlich reduziert: Das Unternehmen hat nach Börsenkurs seit gestern 1 Mrd. Euro an Marktwert eingebüßt. Verliert Putin hier die Kontrolle über die von ihm geschaffene Wirtschaftsordnung? Oder ist in Putins staatskapitalistischer Wirtschaftsstrategie die nächste Stufe erreicht, bei der die großen Oligarchen ihren Teil abgeben müssen?

Jewtuschenkow hatte keine Illusionen über den Zusammenhang von Wirtschaft und Politik in Russland. 2012 kommentierte er den Fall Chodorkowski mit den Worten: "In unserer Gesellschaft muss die ökonomische Macht immer mit der politischen Macht korrespondieren. Wenn du politisch mächtig genug bist, kannst du auch ein großes Unternehmen kontrollieren. Wenn dein Unternehmen größer ist als deine politische Macht, wird es sehr schwer für dich sein, es zu halten."

Treffender hätte er auch seine eigene Verhaftung nicht kommentieren können.